Eine Regenschirmfabrik war es, die im neusachlichen Stil der 1920er-Jahre erbaut wurde. Für die Schirmmontage wurde Licht gebraucht, das die Sheddächer noch heute auf die Kunst durchlassen. 1200 Quadratmeter groß ist die Haupthalle, ein Spielfeld für Eva Birkenstock und ihr Team. Die Direktorin eilt über die Fläche, es ist eine Menge zu tun. Eine Ausstellung wird gerade abgebaut, eine andere ist noch nicht ganz perfekt aufgebaut. Hier fehlen noch Schilder, dort wird bald etwas fehlen: Klaphecks großes „Heldenlied“, einem Heuwender nicht unähnlich, wird bald wieder im Depot verschwinden. Daneben wird an einer Installation wuchtiger Holzbalken von Magdalena Jetelová noch improvisiert. Die Ineinanderverzahnung der Balken will nicht mehr, wie sie sollte. Und dann das: einer der bekanntesten Schätze des Hauses bleibt dunkel. Nam June Paiks „Earth, Moon and Sun“ (1990) flimmert nicht mehr. Die zig Röhrenbildschirme liegen sorgfältig abgebaut in Kisten, das Skelett der Sonne ist sichtbar, Kabel hängen wie Adern aus dem Mond und dem Stern heraus. Aber das ist neu: eine öffentliche Restauration soll es werden, jedermann zuschauen können, wenn Fachleute das seltene Schlüsselwerk Paiks aus der Zeit des Fluxus für die nächsten 25 Jahre startklar machen.
Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: zu sehen gibt es hier im Haus wahrlich reichlich. Aachen war die Heimat der Ludwigs, das Zentrum ihrer Sammlung von Gegenwartskunst. Von hier aus gingen die Arbeiten in die 25 Museen weltweit, die aus dem Besitz von Irene und Peter Ludwig bestückt wurden. Nach dem Ende dieser unvergleichlichen Sammelleidenschaft der beiden – Peter Ludwig starb 1996, Irene 2010, beide in Aachen – blieb das Ludwig Forum das „Motherhouse“, wie Eva Birkenstock es nennt. „Hier wird das globale Interesse der Ludwigs sichtbar.“ Die Ludwigs kauften in der DDR, in der damaligen Sowjetunion, schufen dort ebenso ein Museum wie in Peking, auf Kuba und in Ungarn. Kauften die US-Pop Art vor allen anderen, und so weiter und so fort… Deshalb trägt dieses Haus heute den Zusatz „für Internationale Kunst“.
Wir stehen mittendrin: Robert Rauschenberg, Margit Palme, Rune Mields und Sol Lewitt. Dazu Jasper Johns, Wolf Vostell und Gerhard Richters „Permutationen“ (1973-74), die wie Vorarbeiten für sein Kölner Domfenster wirken. Nicht nur Carla Accardis große Arbeit in leuchtendem Rot-pink wirkt, als sei sie gerade erst fertiggestellt, denkt der Gast. „Die ist aus 1965“, korrigiert Birkenstock und beweist, welch visionäre Auswahl dieses Ausnahmepaar Ludwig getroffen hat. Und diese Arbeit an einer visionären Gegenwart geht weiter. So bespielt die in New York lebende Ulrike Müller gerade spektakulär die beiden 9 mal 14 Meter großen, sich gegenüberliegenden Wände im Lichtturm des Hauses mit riesigen Wandbildern („Monument to My Paper Body“). Dazwischen nicht weniger sehenswert Jenny Holzers LED-Laufbänder (ohne Titel, 1991), über die unentwegt ihre Truismen laufen und laufen und laufen.
Ebenso gegenwärtig die Arbeit im Hintergrund. Unter dem Titel „Teaching the Archive“ lehrt das Team gerade die Künstliche Intelligenz an, sich bestens mit der 5000-Arbeiten starke Sammlung auszukennen und Fragen zufriedenstellend beantwortet zu können. Die Aktualität verlangt auch eine „Sammlungsbefragung“, wie es Kurator Holger Otten nennt, zur Kunst aus Osteuropa, die sich einst in der Sowjetunion verorten ließ, heute aber reflektiert werden muss. Dass sich eine weitere Wechselausstellung mit Nachhaltigkeit und Ökologie befasst, versteht sich fast von selbst. – Äußerst gegenwärtig wirkt das alles. Wir erleben hier nichts Oberflächliches, sondern staunen über die höchst inspirierende Auswahl aus der Sammlung.
Zwischen all diesen Entwicklungen und Bewegungen, all der Abstraktion und Botschaft, zwischen Gegenwartsanalyse und Farbenrausch bilden zwei Wesen den Ruhepol des Ludwig Forums: ein Dromedar und ein Kamel. Stoisch stehen sie da – in Lebensgröße. Welch ein Anblick. Nancy Graves hat sie geschaffen, und da sie, vielgefragt in aller Welt, viel zu empfindlich für eine Reise sind, bleiben sie wohl auch noch länger hier. Also wenn Ihr die an dieser Stelle endende RE1-Tour nachfahrt, bestellt den beiden bitte: Schöne Grüße!