Früher, als Gudrun Hagemeister noch mit ihrem Ehemann ein eigenes Café im Herzen der kleinen Gemeinde Olsberg führte, hat sie sich mal geschworen: „Wenn ich Rentnerin bin, will ich nur noch wandern.“ Heute, „in meinen zweiten beruflichen Leben“, hat sie sich diesen Traum erfüllt. Jeden Tag zieht es die über 80-Jährige in die Sauerländer Wälder. Egal bei welchem Wetter, und egal zu welcher Jahreszeit. „Denn ohne Wandern bin ich nur ein halber Mensch.“ Auf ihren Touren ist sie aber oft nicht allein. Seit zwölf Jahren führt die ausgebildete Gesundheitstrainerin für Kneippanwendungen regelmäßig Gruppen auf dem 39 Kilometer langen, zertifizierten Kneippweg rund um den Kneipp-Kurort Bad Olsberg. Dann packt sie ihren Rucksack, an dem eine kleine Gießkanne baumelt, nimmt Hund Jule an die Leine, und los geht’s. DeinNRW hat sich gemeinsam mit der fünffachen Großmutter und siebenfachen Urgroßmutter auf den Weg gemacht und mitten im Wald einfach mal Schuhe und Strümpfe ausgezogen.
„Denn ohne Wandern bin ich nur ein halber Mensch.“
Im Storchengang waten wir also durch das neu gestaltete Tretbecken an der Luisenquelle. Das sieht, zugegeben, etwas seltsam aus und wurde in der Vergangenheit bisweilen auch ein wenig belächelt. „Aber nur so werden reflektorische Reize gesetzt und die Durchblutung gefördert“, erklärt Gudrun Hagemeister das Prinzip der Kneippschen Anwendungen, bevor sie aus ihrem Rucksack einen Stapel Becher und eine kleine Flasche holt. Denn während die Füße in der Luft trocknen, gönnt sie sich und ihren Mit-Wanderern gern einen Schluck selbst aufgesetzten Holunder-Schnaps. Nur für die Erwachsenen, versteht sich. Aber auch die Kinder, die Gudrun Hagemeister bei ihren Entdeckungen im Wald besonders gern beobachtet, bekommen natürlich eine kleine Stärkung. Immerhin liegen noch fast 400 Höhenmeter vor den Wanderern, bevor sie das Gipfelkreuz des Olsbergs – mit 704 Metern über Normalnull übrigens die höchste Talerhebung des Sauerlandes – erreichen.
Doch bekanntlich ist ja der Weg das Ziel. Weshalb Gudrun Hagemeister immer wieder mal eine Pause macht. Dann lässt sie den Blick über das grün bewaldete Sauerland schweifen, hört die Stille des Waldes und macht ihre Begleiter auf die kleinen Besonderheiten der Natur aufmerksam.
„Man muss die Natur empfinden. Und ich staune oft, wie sich auch bei Erwachsenen plötzlich der Geist öffnet. Sei es bei einem seltsam geformten Blatt, einem knorrigen Ast oder auch nur bei der bewussten Wahrnehmung des weichen Waldbodens.“
Die Kneippanimateurin hält ihre Gäste, von denen viele schon seit Jahren gemeinsam mit ihr wandern, stets an, mit offenen Augen durch die Natur zu gehen. Denn auch, wenn sie die Wälder rund um das beschauliche Städtchen Olsberg wohl besser kennt als jeder andere: „Im Wald ist es immer wieder anders.“ Im Herbst zum Beispiel, erklärt die 77-Jährige, „ist die Atmosphäre hier früh morgens beinahe ein bisschen mystisch“. Gudrun Hagemeister mag diese ganze besondere Stimmung, wenn der Nebel noch zwischen den Bäumen wabert. Sie mag es aber auch, wenn im Frühjahr das Moos auf den mächtigen Klippen in der Sonne glitzert oder ihr der Duft von frischen Waldkräutern in die Nase zieht. Dann wandert die Frau mit den wachen Augen und der so ansteckenden Begeisterung auch für die kleinen Dinge in ihrer Umgebung gern zu ihrem Lieblingsplatz etwas abseits des ausgeschilderten Kneippweges. An der Ännchen-Quelle vergisst sie dann die Zeit um sich herum, lauscht dem Plätschern des kleinen Rinnsals, das sich den Olsberg herabschlängelt, und genießt die paar Sonnenstrahlen, die durch die hohen Äste der Bäume auf die kleine Holzbank scheinen.
Mit den Naturheilverfahren des Pfarrers Kneipp aus Bad Wörishofen beschäftigt sich Gudrun Hagemeister schon seit vielen Jahren. Schließlich ist ihre Wahlheimat Olsberg, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann mehr als 45 Jahre lange eines der 100 besten Cafés in Deutschland führte und Kunden aus aller Welt mit süßen Spezialitäten wie Kirschwassermäusen und Marzipanpralinen versorgte, seit 1895 anerkannter Kneipp-Kurort. Seit 2017 darf sich das idyllische Städtchen sogar Bad Olsberg nennen, wie Gudrun Hagemeister sichtlich stolz zu berichten weiß. So kamen die Menschen aus ganz Deutschland also schon immer hierher, um sich behandeln zu lassen. Heute kommen sie auch nach Olsberg, um mit Gudrun Hagemeister auf dem Kneipp-Weg zu wandern und mitten im Wald einfach mal Schuhe und Strümpfe auszuziehen.
Seele baumeln lassen im SauerlandDrei Fragen an Gudrun Hagemeister
Frau Hagemeister, Sie haben 48 Stunden freie Zeit. Was würden Sie mit dieser Zeit auf jeden Fall in NRW machen?
Gudrun Hagemeister: Gar keine Frage. Dann treffen Sie mich auf jeden Fall in den Sauerländer Wäldern. Erst würde ich gemeinsam mit meinem Hund Jule eine ausgiebige Rucksackwanderung machen und die zwei Tage anschließend in der Sauna ausklingen lassen.
Welchen Ort in NRW haben Sie zuletzt für sich neu entdeckt?
Gudrun Hagemeister: Ein ganz wunderschöner Ort ist die kleine Friedenskapelle in der Nähe von Elleringhausen. Sie wurde mitten im Wald zum Gedenken an die Kriegsopfer errichtet und wird noch immer so liebevoll gepflegt. Hierher komme ich, wenn ich mal Ruhe brauche oder ein bisschen entschleunigen muss. Die kleine Kapelle ist für mich ein richtiger Kraftort.
Ihr persönlicher Lieblingsplatz in NRW.
Gudrun Hagemeister: Das ist ganz einfach – die Natur.