„Schon als kleiner Junge“, erinnert sich Marcel Schmitz, „habe ich mich immer nach vorne geschmuggelt“. Er wollte nicht bloß Gläser spülen, sondern da sein, wo was los war. Mitten im Trubel. Es drängte ihn vorn an der Theke des Glühweinstandes, den seine Eltern auf dem Aachener Weihnachtsmarkt betreiben. Seit mehr als 40 Jahren gibt es den „Oecher Glühwein-Treff“ nun schon. Den Wein (rot, weiß und alkoholfrei) liefert noch immer derselbe Winzer wie im Jahr 1976. Und auch in diesem Advent steht der große, stimmungsvoll beleuchtete Stand wieder direkt am Katschhof zwischen dem historischen Rathaus und dem Aachener Dom. Hinter der Theke: Marcel Schmitz, mittlerweile 39 Jahre alt und selbst Vater von zwei Kindern.
Der Aufbau beginnt bereits Anfang November. Und bis der Stand noch in der Nacht vor Heiligabend wieder in seine Einzelteile zerlegt und verladen wird, bleibt Marcel kaum Zeit zum Durchatmen. „Da bin ich dann jeden Tag 14 Stunden im Einsatz“, sagt der Junge von damals, der es nicht anders kennt. Und der Erwachsene von heute, der es auch gar nicht anders will. Der gebürtige Aachener bezeichnet sich selbst als Perfektionist und Individualist zugleich.
Seine Frau ist dem Ur-Oecher von München in die Heimatstadt gefolgt. Hier treffen wir Marcel das erste Mal, als die Temperaturen noch nicht Glühwein-tauglich sind. Vielmehr ist der Sommer gerade dabei, sich langsam zu verabschieden. Es ist zwar schon ein wenig frisch am frühen Morgen. Dennoch sitzen die Menschen entspannt auf den Bänken im Park an der Frankenberger Burg, in den sich schon Karl der Große dank eines Zauberrings verliebt haben soll, und genießen die wärmenden Sonnenstrahlen. Am Kiosk gegenüber machen die Männer von der Müllabfuhr eine kurze Pause. Nachbarn kommen vorbei und grüßen. Eine Schulklasse steht aufgeregt am Zebrastreifen und lauscht geduldig den mahnenden Worten des Polizisten. Ein ganz normaler Morgen im Frankenberger Viertel.
Marcel Schmitz kennen sie hier seit acht Jahren. Seit er 2011 in einer der vielen Jugendstil-Villen des lebendigen Szeneviertels seinen Oecher Eis-Treff eröffnet hat. Nach insgesamt dreijähriger Planungszeit und genau zwölf Monate, nachdem er das erste Mal das Schild mit der Aufschrift „Wir eröffnen in Kürze“ ins Fenster gehängt hatte. „Das ist schon so eine Art Running Gag hier im Viertel“, erzählt der Eisdielen-Besitzer und muss selbst jedes Mal wieder schmunzeln. Er wollte halt nichts dem Zufall überlassen.
Doch erst einmal stellt sich eine ganz andere Frage: Wieso Eis? Der Mann macht doch Glühwein. Richtig! Im Winter gibt’s duftenden Winzerwein aus dem Becher und im Sommer Omas Nuss-Eis aus der Waffel. Zwei Saisongeschäfte, die sich hervorragend miteinander verbinden lassen und die Marcels zwei große Leidenschaften sind.
Welche Passion zuerst da war, kann der Chef von mittlerweile sieben Mitarbeitern gar nicht genau erklären, während er uns die erste Kugel seines selbstgemachten Eis zum Probieren gibt. Wie gesagt, war er schon als kleiner Junge im Glühwein-Treff seiner Eltern mitten unter Fremden und Freunden, zu denen der Kontakt nie abgebrochen ist. „Die Kunden sind mit mir gewachsen“, sagt der 39-Jährige und erinnert sich gleichzeitig an das Nuss-Eis seiner Oma. „Genau so wollte ich es auch machen. Eis aus echten und guten Lebensmitteln und nicht aus irgendeinem Pulver.“ Er sagt es und serviert uns in seiner kleinen, mit liebevollen Details eingerichteten Eisdiele schon die nächste Kugel. Nach den Klassikern Vanille und Erdbeere gibt’s diesmal: Tomaten-Eis mit ein wenig Basilikum. "Ich experimentiere auch gerne und probiere gerne wirklich mal etwas anderes ...“
"Genau so wollte ich es auch machen. Eis aus echten und guten Lebensmitteln und nicht aus irgendeinem Pulver."
Denn wichtig sind dem Aachener, der irgendwann auch mal Betriebswirtschaftslehre studiert hat, bevor er sich für den etwas anderen Lebensweg entschieden hat, nicht immer neue und möglichst ausgefallene Eissorten. In erster Linie kommt es ihm auf die Rohstoffe an und darauf, „dass die Leute merken, warum mein Eis anders schmeckt“. Manche Kunden fragen tatsächlich. Marcels Stammkunden indes wissen es längst und sichern sich gleich zu Beginn der Saison ihre 50 Frankies – eine Art Rabatt-Münze, mit der sie nur im Oecher Eistreff bezahlen können.
Doch Marcel Schmitz sagt das mit den Rohstoffen nicht einfach so daher. Der umtriebige Jungunternehmer meint es auch so und wird bei Themen wie dem Klimaschutz ganz ernst. Denn Nachhaltigkeit ist ihm ein wichtiges Anliegen, weshalb er auch bei der Auswahl seiner Produkte keine Kompromisse kennt. Schließlich ist Milch nicht gleich Milch und Zucker nicht gleich Zucker. „Und bei Vanilleschoten ist das ähnlich wie beim Wein“, erklärt er. „Es gibt hunderte Sorten auf der Welt und jede schmeckt anders.“ Der Perfektionist probiert sie (fast) alle, bevor er sich für die eine Vanilleschote entscheidet, die er dann für sein Eis verarbeitet. Und der Familienvater, dem die Zukunft seiner Kinder wichtig ist, achtet darauf, dass die Rohstoffe möglichst aus ökologischem Anbau (aus der Region) stammen.
"Und bei Vanilleschoten ist das ähnlich wie beim Wein. Es gibt hunderte Sorten auf der Welt und jede schmeckt anders.“
Denn so wie der „Oecher Glühwein-Treff“ im Jahr 2018 als erster klimaneutraler Glühweinstand Deutschlands ausgezeichnet wurde, so wird auch in der „Eisküche“ im Frankenberger Viertel Wert auf den bewussten Umgang mit Lebensmitteln und der Umwelt gelegt. Das können vermeintliche Kleinigkeiten sein, wie die bunten Magnete am Eisschrank. Gelb steht für Zitrone, Orange für Haselnuss und Rot für Erdbeere. Immer wenn eine Dose mit Eis aus dem Schrank genommen wird, wird auch ein Magnet entfernt. „So verhindern wir, dass ständig der Eisschrank auf- und zu gemacht wird“, erklärt Marcel, der das System selbst erfunden hat. „Das spart Strom und schützt die Umwelt.“ Gerade verhandelt er zudem mit einem Start-up-Unternehmen, das essbare Löffel für ihn produzieren könnten. Noch ein Plan für die Zukunft.
Denn erst einmal hat der Oecher Eistreff vorübergehend geschlossen. Die Saison ist vorbei. Und die andere steht bevor. Diesmal auf dem Katschhof. Vier Wochen lang werden sich hier wieder jeden Tag Fremde und Freunde am Oecher Glühwein-Treff drängeln, ihre EU-Glühs gegen das ein oder andere Glas Original Winzer-Glühwein tauschen und mit Marcel Schmitz über alte und neue Zeiten plaudern. Da bleibt, wie gesagt, kaum Zeit zum Durchatmen. Doch noch bevor die vielen Lichter angehen und die Altstadt von Aachen in vorweihnachtliche Stimmung tauchen, kommt Marcel manchmal schon früh ganz allein hierher. Dann setzt er sich auf eine Bank mit Blick auf’s Rathaus und genießt „die Zeit, die ich sonst nicht habe“. Er hat es genau so gewollt.
Ein Platz im Grünen zum AbschaltenDrei Fragen an Marcel Schmitz
Herr Schmitz, Sie haben 48 Stunden freie Zeit. Was würden Sie mit dieser Zeit auf jeden Fall in NRW machen?
Marcel Schmitz: Dann schnappe ich mir meine Familie und suche mir einen Ort, an dem ich zur Ruhe komme. Das ist in den letzten acht Jahren viel zu kurz gekommen. Ich bin ja auch kaum aus Aachen rausgekommen ... Aber so ein Ort könnte irgendwo ganz tief in der Eifel sein, der Nationalpark Eifel steht ganz oben auf meiner Ausflugsliste. Ich liebe die Natur.
Welchen Ort in NRW haben Sie zuletzt für sich neu entdeckt?
Marcel Schmitz: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich bin ja entweder in der Eisdiele oder am Glühweinstand. (lacht!) Nein, so schlimm ist es auch nicht ... Neu entdecken würde ich gern einmal das Siebengebirge. Ich war da neulich auf einer Hochzeit eingeladen und ganz begeistert von der Landschaft. Eine tolle Wanderregion.
Ihr persönlicher Lieblingsplatz in NRW.
Marcel Schmitz: Da muss ich nicht lange überlegen. Im Winter genieße ich die schönste Zeit des Tages, bevor der Weihnachtsmarkt öffnet und der Katschhof noch leer ist. Dann setze ich mich auf eine Bank mit Blick auf das Rathaus und genieße die ersten Sonnenstrahlen. Das ist eine unvergleichliche Atmosphäre. Ähnlich ist es im Sommer im Frankenberger Park. Bevor der Betrieb nebenan in der Eisdiele losgeht, suche ich mir hier ein schönes Plätzchen und genieße die Zeit, die ich sonst nicht habe. Das erdet mich immer auch ein bisschen.