Im Schlosscafé bleibt an diesem Vormittag kein Tisch frei. Radfahrer und Spaziergänger machen Rast im Hof von Schloss Türnich, genießen die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings und lassen sich ein deftiges Schloss-Brot schmecken. Auch Graf von Hoensbroech, den sie hier alle nur Severin nennen, hat sein Büro heute kurzerhand ins Freie verlegt. Im Café verhandelt er mit Geschäftspartnern, plaudert mit den vorbeikommenden Mitarbeitern und Gästen. Und während er mit DeinNRW über seine Pläne und Ideen spricht, gerät er ein ums andere Mal ins Schwärmen.
Denn der 45-Jährige, der so etwas wie Schlossherr, Hausmeister und Unternehmer in Personalunion ist, hat eine Vision: Gemeinsam mit seiner Familie, allen voran Ehefrau Anja, will er das Schloss seiner Vorfahren zu einem Ort für die Zukunft machen. Das gesamte Gelände rund um das prächtige Herrenhaus soll ein Kleinod werden, „an dem wir anderen Menschen zeigen können, wie Landwirtschaft auch funktionieren kann“. Natürlich, nachhaltig – und einzigartig. Ein Ort, der – wie früher – wieder der Mittelpunkt einer ganzen Region ist, die es so gar nicht mehr gibt, und „dessen Zauber die Leute packt“.
So, wie es Severin von Hoensbroech selbst gepackt hat. Damals, vor vier Jahren, „als mir das Ding hier irgendwie auf die Füße gefallen ist“ und er nach reiflicher Überlegung mit der gesamten Familie entschied, seine Vision von einem funktionierenden permakulterellen Erlebnisraum in die Tat umzusetzen. Oder es zumindest zu versuchen. „Klar haben mir Freunde den Vogel gezeigt und mich für verrückt erklärt“, erinnert sich der Schauspieler und Regisseur, als könne er selbst noch gar nicht glauben, was er sich da antut. Doch vor allem dank seiner Ehefrau, die damals immerhin ihren Job in der Entwicklungszusammenarbeit aufgab und „heute hier alles zusammenhält“, gibt Severin von Hoensbroech nicht auf. Zu groß ist seine Liebe zur Natur und sein unermüdlicher Eifer, diese zu bewahren.
„Wer die Natur beherrschen will,
der muss ihr gehorchen“
Das Schloss, das die Familie von Rolshausen im 18. Jahrhundert ganz im Sinne Rousseaus errichten ließ und immer als Ort des Volkes verstand, soll deshalb auch kein Museum werden. „Das ist mir zu retro“, sagt der vierfache Familienvater und erinnert sich an seine eigene Kindheit und Jugend im Schloss. „Besonders cool fand ich das nicht.“ Amüsiert erzählt der von „den viel zu langen Wegen im Haus, in dem alles alt war und wir nichts anfassen durften“. Heute rennen und toben seine eigenen vier Kinder im Schlosspark. Die Familie hat sich im Schwedenhaus auf dem Schlossgelände ihr kleines Reich eingerichtet, hält sich hier auch Hühner, die Namen tragen wie James Brown oder Britney.
Museale Schlösser und Burgen jedenfalls gibt es nach Ansicht von Hoensbroech genug. „Und mit einem großen Golf-Event-Hotel lockst du auch keinem mehr hinterm Ofen hervor“, erklärt er kurz und knapp, warum er andere Pläne hat.
Tatsächlich erinnern in NRW noch nahezu 1.000 Burgen und Schlösser an die Zeiten, da die Fürsten hier noch das Sagen hatten. Viele hundert dieser barocken, mittelalterlichen und romanischen Gemäuer konnten erhalten werden und sind heute beliebte Ausflugsziele, Hotels oder Museen.
Schloss Türnich dagegen gleicht noch einer Ruine, die allerdings unter Denkmalschutz steht. Die Fassade des Herrenhauses, das vor vielen Jahren dem Braunkohletagebau in der Region zum Opfer fiel, konnte zwar dank einer großzügigen Spende eines Malers bereits restauriert werden. „Der Mann hat verstanden, wo wir hinwollen.“ Auch die eindrucksvolle Kapelle mit den vielen geheimnisvollen Symbolen und Ornamenten, die von Hoensbroech gar einen „mystischen Ort“ nennt, wurde renoviert. Im Innern des Schlosses wird vorerst jedoch niemand wohnen können. Zu marode sind die abgesackten Räume hinter den großen Fenstern, mit denen die Bauherren schon früh ihre besondere Sehnsucht nach der Natur ausdrückten.
"Wir möchten einen Ort schaffen, dessen Zauber die Leute packt."
Das Engagement der Familie von Hoensbroech konzentriert sich deshalb im Moment auf die weitläufigen Anlagen rund um das Schloss. In den Gärten, in denen schon seine Eltern vor vielen Jahren auf ökologischen Anbau setzten und dafür anfangs noch belächelt wurden, will der Sohn nun natürliche Landwirtschaft für Jedermann erlebbar machen. „Wir sind aber nicht so Öko-Hippies, die nicht wissen, was sie tun."
Denn in der permakulturellen Erlebniswelt, wie sie der 45-Jährige schaffen will, sollen ausschließlich natürlich Kreisläufe genutzt und nachhaltig produziert werden. Neben dem dynamisch-biologischen Anbau von Obst und Gemüse, aus dem „Ferdinand Klabunde, unser jonglierender Koch, jeden Tag tolle Gerichte zaubert“, schwebt von Hoensbroech auch die Einrichtung eines Naturkindergartens vor. Im Ceres Heilpflanzengarten inmitten des Schlossplatzes erfahren die Besucher bereits heute Interessantes über die heilenden Kräfte der Natur. Allerdings muss der Schlossherr, wie er mit einem Augenzwinkern sagt, „manchmal aufpassen, dass die Kinder die Hinweisschilder nicht vertauschen“.
Gern führt der 45-Jährige auch selbst Besuchergruppen durch die einer gotischen Kapelle nachempfundene Lindenallee, den Schlosspark und den Französischen Garten – und weiß seine Gäste dabei mit vielen humorigen Anekdoten zu unterhalten. Kein Wunder, der Mann ist schließlich von Haus aus Schauspieler und Regisseur – und die Natur der wohl schönste Ort für eine perfekte Inszenierung.
Theateraufführungen im Schlosshof gehören deshalb ebenso zu den Zukunftsplänen des Ehepaars von Hoensbroech wie auch Hoffeste und regionale Märkte. Zwar nutzen schon jetzt Firmen die urwüchsige Kulisse rund um Schloss Türnich für Tagungen und Seminare. Auch ließ sich Regisseur Lars von Trier vom Zauber der wildwuchernden Landschaft beeindrucken und drehte hier Szenen für seinen Film „Nymphomaniac“. (Übrigens mit Severin von Hoensbroech in der Rolle des Gärtners.) Im Biergarten des gemütlichen, liebevoll eingerichteten Schlosscafés begrüßt Severin von Hoensbroech auch heute wieder Stammgäste. Die Küche, die so weit es geht Produkte aus eigenem Anbau verwendet, hat sich bereits über die Ortsgrenze hinweg einen Namen gemacht und richtet auch regelmäßig private Feierlichkeiten aus.„Es darf jedoch durchaus noch mehr werden“, wünschen sich die Eheleute von Hoensbroech.
Wohlwissend, dass der Weg noch lang ist. Denn der Visionär ist immer auch Realist. Eines schließlich kennt der Regisseur, der seinen Lebensunterhalt derzeit noch als Führungskräfte-Trainer verdient, von der Bühne sehr genau:
„Man startet mit großer Leidenschaft, fällt dann in eine tiefe Krise, und wenn man die überwunden hat, wird es richtig gut.“
Und der Regisseur weiß auch, „dass das immer eine kreative Phase ist“. Die Chancen stehen also ganz gut, dass Schloss Türnich bald nicht mehr „nur“ ein Geheimtipp ist.
Denkmäler, Berge und Käsebrot.Drei Fragen an Severin Hoensbroech
Herr von Hoensbroech, Sie haben 48 Stunden freie Zeit. Was würden Sie mit dieser Zeit auf jeden Fall in NRW machen?
Severin von Hoensbroech (überlegt lange): „Oje, da gibt es so vieles. Ich zitiere am besten mal meinen Sohn. Der würde sagen, dass sein Vater glücklich ist, wenn er auf einem großen Stein am Meer sitzen und ein Käsebrot essen kann. ... Oh ja, ein Käsebrot. Nur hat Nordrhein-Westfalen ja leider kein Meer. Nein, im Ernst. Ich würde wahrscheinlich meine Kinder nehmen und die ganze Zeit mit Ihnen spielen.“
Welchen Ort in NRW haben Sie zuletzt für sich neu entdeckt?
Severin von Hoensbroech: „Ich mag das Bergische Land unheimlich gern. Ihre fahre oft durch diese Gegend, und jedes Mal denke ich: Ist das schön hier. Und immer wieder entdecke ich neue wunderschöne Orte wie zuletzt das Windrather Tal.“
Ihr persönlicher Lieblingsplatz in NRW.
Severin von Hoensbroech: „Mich treibt eine ganz besondere Sehnsucht nach theatralen Räumen um. Ich bin zum Beispiel unheimlich gern auf dem Dach des Kölner Doms, mag aber auch die Kölner Philharmonie sehr. Ich weiß gar nicht, ob die Elbphilharmonie wirklich schöner ist ... Auch die vielen Industriedenkmale im Ruhrgebiet, wie die Jahrhunderthalle in Bochum, faszinieren mich. Das Ruhrgebiet ist überhaupt eine beeindruckende Gegend, in der man an so vielen Plätzen sehen kann, wie sie den Strukturwandel geschafft hat. Ein gigantischer Ort ist auch das Rheintal mit vielen kleinen, verwunschenen Ecken. Hier ist nur leider in der Vergangenheit viel kaputt gemacht worden. Aber das trifft ja bedauerlicher Weise auf viele Orte auf diesem Planeten zu. Doch zurück zu meinem absoluten Lieblingsplatz in NRW. Das ist und bleibt natürlich Schloss Türnich. Sonst wäre ich ja nicht hier.“