Eben erst ist Tasso Wolzenburg von den Europameisterschaften der Hirschrufer aus Ungarn zurückgekehrt immerhin gehört der 56-Jährige Forstwirt aus Bad Laasphe zu den besten deutschen Hirschrufern, wenn es darum geht, dem freilebenden Rotwild während der Brunftzeit „etwas vorzugaukeln und sie aus dem Unterholz zu locken“. Tasso Wolzenburg lacht, als er es sagt. Zurückgekehrt ist er mit viel Optimusmus und neuen Ideen der Hirschrufkunst. Er zückt das grüne Hohlrohr, bläst hinein und wartet auf Antwort irgendwo aus den Tiefen der Wittgensteiner Wälder. Dein NRW hat den passionierten Hirschrufer bei seinem „Versteckspiel“ begleitet und dabei viel über die Sprache der Tiere gelernt.
Es ist früh am Morgen. Das Siegerland erwacht. Noch ziehen dichte Nebelschwaden durch die waldreichste Region Deutschlands, die von oben betrachtet einer mystischen Seenlandschaft gleicht. Wenige Kilometer weiter fallen später dann die ersten Sonnenstrahlen auf den moosbewachsenen, noch feuchten Waldboden. Ein nahezu magischer Moment. Und der Vorbote eines wunderschönen Herbsttages in der Region Siegen-Wittgenstein ganz im Süd-Westen von Nordrhein-Westfalen. Hier lebt Tasso Wolzenburg, mehr als 10 Jahre betreute er das Rotwildgehege mit dem alten Hirsch Manni am Forsthaus Hohenroth in Bad Laasphe/Volkholz und ist bereits seit seiner Kindheit leidenschaftlicher Hirschrufer.
Es ist das scheinbare Ende der Welt. Die Schotterstraße führt ins Unendliche. Rundherum nichts als Wälder. Und kaum etwas ist zu hören. Bis plötzlich das laute Geräusch einer Motorsäge die morgendliche Stille durchbricht. Als kleinen Willkommensgruß für seine Besucher schnitzt Tasso Wolzenburg mal eben die Silhouette eines stolzen Hahns in die große Holzscheibe vor dem Schuppen. Irgendwann hat der Mann, dessen Naturverbundenheit man gleich bei der ersten Begegnung spürt, auch seine künstlerische Ader entdeckt. Eher durch Zufall. Die Zuwege zum Forsthaus sollten verschönert werden. Also griff Tasso Wolzenburg kurzerhand zur Motorsäge und, siehe da, eine zweite Leidenschaft war geboren.
„Im September gehöre ich ganz und gar ihnen, wenn bei den Hirschen die Hochzeitsglocken läuten"
Seine wahre Liebe aber gehört, neben der Familie, den Hirschen, die unbeobachtet in der Wildnis oberhalb des alten Forsthauses leben. „Im September gehöre ich ganz und gar ihnen“, sagt der 56-Jährige. Und er meint es ernst. Während der Brunft, „wenn bei den Hirschen die Hochzeitsglocken läuten“ ,zieht es ihn oftmals gemeinsam mit interessierten Gruppen schon bei Anbruch der Dunkelheit in die Wittgensteiner Wälder. „Ich bin auch sonst eigentlich immer draußen“, sagt er. „Mich stört kein Wetter.“ Zumal die Natur zu jeder Jahreszeit ihren eigenen Reiz und das Wild seine jeweiligen Besonderheiten habe. So nimmt er seine Gäste im Winter auch gern mit auf eine Fährtensuche im Schnee oder unternimmt mit ihnen eine Nachtwanderung im Mondschein. Wenn Kinder dabei sind, hat er immer auch eine Mäusepfeife dabei, um Füchse aus der Deckung zu locken.
Der Herbst aber ist für den Allwettermann und Naturkundler die schönste Jahreszeit. Wenn sich das Laub der Bäume, ganz romantisch, langsam rotbraun färbt. Und wenn die Anspannung steigt und sich die Platzhirsche, ganz unromantisch, „an die Arbeit machen“. Bis zu 50 Hirschkühe, Tasso Wolzenburg nennt sie respektvoll Damen, wollen pro Saison von einem Hirschen betreut werden. „Nach diesem Akt ist der Hirsch um einige Kilos leichter und total knülle.“ In der kalten Jahreszeit im Monat Februar fallen schließlich bei den alten Hirschen die Geweihe durch hormonelle Umstellung vom Schädel. Der Siegerländer redet nicht lange um den heißen Brei, sondern sagt, was Sache ist.
„Von ihm habe ich viel gelernt.“
Bevor der gelernte Forstwirt, der sich im Hauptberuf um die Revierpflege und Beratung von Waldbesitzern im Regional-Forstamt Siegen-Wittgenstein kümmert, seine Gäste jedoch bei Wildführungen mit in unwegsames Gelände nimmt, empfängt er sie zumeist auf der Besucherkanzel des eingezäunten Geheges am Forsthaus Hohenroth. Hier erfahren sie viel über das beeindruckende Liebesspiel und Imponiergehabe des kapitalen Rotwildes. Und: Sie bekommen das Rotwild garantiert auch zu Gesicht. Bis vor ein paar Jahren war Manni, wie ihn der Forstamtsleiter taufte und den Tasso Wolzenburg lange begleitet hat, Star im Gehege. „Von ihm habe ich viel gelernt.“ Über das Verhalten der Tiere. Und über ihren Lebensraum. Heute gibt der Forstwirt sein Wissen selbst an andere weiter. Unter anderem weiß der Wildtierexperte Interessantes über die fein ausgebildeten Sinne der Hirsche zu erzählen. So spielt etwa der Geruch bei den Tieren eine noch viel größere Rolle als bei uns Menschen. Wolzenburg, dem sein Großvater einst die Verbundenheit zur Natur und zu den Hirschen mitgegeben hat, ruft deshalb immer nur gegen den Wind. „Andernfalls würden die Tiere mich sofort riechen.“ Mit anderen Worten: Sie würden sein Versteckspiel erkennen. „Denn letztlich mache ich ja nichts anderes, als den Hirschen etwas vorzugaukeln, was nicht ist, um sie zu locken“, sagt der zweifache Familienvater und zieht endlich das grüne, ziemlich unspektakuläre Plastik-Hohlrohr aus seiner Hosentasche. „Mein Mikrofon.“
Tasso Wolzenburg presst die Lippen zusammen und holt Luft. Ein eher hoher Ton erklingt. Es ist das sehnsüchtige Rufen des jungen Hirsches, das fast ein wenig traurig klingt. Stimmt. „Er hat schließlich noch keine Dame“, erklärt Wolzenburg. Sein sehnsüchtiges Röhren bedeutet also so viel wie: „Wo seid ihr Damen?“ Ganz anders hört sich das Rufen des alten Hirsches an. Der Macho röhrt tief und brummig. Fast zornig. Und sein Gebaren ist streitlustig. Schließlich ist er nur zur Paarungszeit der Chef oder sozusagen der Platzhirsch! In der übrigen Jahreszeit kann dieser Platzhirscn durchaus auch ein untergeordneter Hirsch in einem Hirschrudel sein.
Ob er auf die menschlichen Rufer, die sich mit Tasso Wolzenburg auf die Lauer legen, hereinfällt und sich auch tatsächlich zeigt, dafür gibt es – anders als im Gehege – in der Wildnis keine Garantie. „Aber eine Antwort gibt es immer“, sagt der passionierte Hirschrufer durchaus ein wenig stolz. „Und dann fange ich ein Gespräch mit den Tieren an.“ Worüber sie reden, bleibt allerdings ein Geheimnis.
Wandern, Wald und WellnessDrei Fragen an Tasso Wolzenburg
Sie haben 48 Stunden freie Zeit. Was würden Sie in dieser Zeit auf jeden Fall in NRW machen?
Tasso Wolzenburg: Erstmal wären ein paar Stunden Wellness angesagt. Nach ein paar Saunagängen in dem Hotel Jagdhof Glashütte nahe meinem zu Hause fühle ich mich wie wachgerüttelt und habe den Kopf voller neuer Ideen. Danach würde ich mich aufs Rad setzen und gemeinsam mit meinem Hund eine ausgiebige Tour machen. Am liebsten ans Wasser. Das ist eine so unglaubliche Energiequelle. Uns zieht es deshalb gern ins Ederquellgebiet, zur Ilse- oder zur Lahnquelle. Aber auch auf die Höhenzüge des Rothaarkamms. Die Wege hier sind alle gut zu laufen, zu befahren und vor allem zu bewundern.
Welchen Ort in NRW haben Sie zuletzt für sich neu entdeckt?
Tasso Wolzenburg: Da fällt mir spontan die Heiligenborner Wildnis oberhalb der Ilsequelle ein. Das ist eine Top-Adresse, um die Weite und gleichzeitige Nähe der Natur zu erleben. Besonders beeindruckend sind die alten Buchenbestände, aber eben auch die tollen Ausblicke über das dicht bewaldete Siegerland mit den kleinen Bachläufen in den schmalen Tälern.
Ihr persönlicher Lieblingsplatz in NRW?
Tasso Wolzenburg: Ich habe 20 Jahre im Lahntal gelebt. Hier bin ich immer noch besonders gern, weil es immer noch Neues in der Natur zu entdecken gibt. Nach jeder Kurve präsentiert sich die Vegetation des langgezogenen Tals neu. Die Bäume sind immer wieder anders, und ich lausche ausschließlich der Natur. Nur so wird man auf sie aufmerksam, indem man alle Sinne mitnimmt.